Brauerei Kropf

Mein Vater hatte einen Job bei Henschel in einer Fahrzeugfabrik. Von dem einen Mal, bei dem ich ihn als Kind bei der Arbeit besucht habe, erinnere ich mich an ein riesiges Mauergebäude mit düsteren, schlecht belüfteten Hallen. Es war laut und stickig und roch nach der Chemie der Säure-Bäder, in denen die Arbeiter Metallteile, Stahl und Eisen tauchten, um Chromteile für Fahrzeuge herzustellen. Wenn mein Vater von der Arbeit nach Hause kam und wir zusammen gegessen hatten, funktionierte er manchmal noch die gesamte Küche um. Dann war es ganz dunkel und eine Zeit lang durfte man auf keinen Fall die Tür öffnen. Nur in der Speisekammer schien ein schwaches, rötliches Licht. Auf dem Ablagetisch in der winzigen Speisekammer stand ein Gerät und mehrere Schalen mit Flüssigkeit. Später wusste ich, dass er hier Fotos entwickelte, die er danach in der Spüle wässerte und in der Küche zum Trocknen aufhängte. Dann waren in der ganzen Küche kreuz und quer Wäscheleinen gespannt, an denen die Fotos hingen. Er machte viele Fotos von der Familie. Von mir als Baby, von unseren Weihnachtsfesten oder von meinem Bruder und mir. Aber immer wieder hingen dort auch Bilder von fremden Leuten, die in die Kamera lächelten, tanzten und lachten.

Irgendwann hingen in der Küche immer seltener Fotos. Mein Vater hatte aufgehört, bei Henschel in der großen Halle mit den Säure-Bädern zu arbeiten und war eine Zeit lang viel häufiger daheim als sonst. Er schien damit nicht besonders zufrieden zu sein und seine Laune besserte sich erst wieder, als er erneut fast jeden Tag das Haus verließ. Von da an fuhr mein Vater für die Brauerei Kropf Bier aus. Die Brauerei bestand aus riesigen Gebäuden und einem großen Schornstein, der direkt neben unserer Wohnung in der Hardenbergstraße emporragte. Wenn mein Vater früh morgens das Haus verließ, musste er nur die Straßenseite wechseln, um die riesigen Lastwägen und Anhänger der Brauerei mit Fässern und Bierkästen zu beladen. Danach war er den ganzen Tag unterwegs und kam erst spät abends nach Hause zurück. Zu dieser Zeit konnte man auch noch beobachten, wie manchmal riesige Pferde mit großen Anhängern die Brauerei Kropf verließen und Fuhrwerke beladen mit Bier durch die ganze Stadt zogen. Auch zu uns nach Hause wurde ab da immer Bier geliefert. Das nannte sich Haustrunk.
Jeden Mittwoch hielt ein kleiner Wagen vor unserem Haus und stellte drei Kästen Bier ab. Mein Vater trank zu der Zeit überhaupt kein Bier, auch meine Mutter und meine Oma verbrauchten kaum etwas von der wöchentlichen Lieferung und mein Opa trank zwar gerne und rauchte, aber alleine kam auch er dem ganzen Bier überhaupt nicht hinterher. Und am nächsten Mittwoch wurden ja wieder drei Kästen Bier vor der Tür abgestellt. Das führte dazu, dass meine Eltern sehr beliebt waren. Immer, wenn sie irgendwo eingeladen wurden, brachten sie ein paar Flaschen Bier mit oder verschenkten am Ende der Woche den Rest an die Nachbarn. Auch bei uns zu Hause waren immer viele Gäste und wenn jemand da war, wurde immer aufgetischt. Für meinen Vater und meine Oma war klar: Es musste Kaffee und Kuchen geben und dann musste der Besuch auch zum Abendbrot bleiben. Das gebot die rumänische Gastfreundschaft.